Sind Molosser und HSH untrainierbar?

Sind Molosser und HSH besonders schwierig?

Molosser und Herdenschutzhunde fallen als Gruppen besonders dann auf, wenn irgendjemand folgende Dinge behauptet:

„Man kann nicht jeden Hund mit Leckerli trainieren“

„Die brauchen eine harte Hand“

„Mit Wattebauscherl kommst nur weiter solange du keinen HSH/Molosser vor dir hast“

„Ein HSH ist nichts für Anfänger“

„Die brauchen Haus/Hof und einen riesen Grund zum Bewachen“

Usw

Doch stimmt das überhaupt?

Schauen wir uns dazu doch mal ein bisschen in diesen beiden Gruppen um.

Der Herdenschutzhund

Diese Gruppe von Hunden wurde dafür gezüchtet (oft gar nicht so sehr absichtlich sondern zufällig beim Wandern mit Schafherden) eine Herde zu verteidigen.

Manche sollten das allein und immer am selben Ort machen.

Manche sollten auch mit Schäfern von Weide zu Weide ziehen.

Doch was ist dieses „Herde schützen“ eigentlich?

Die Herde stellt für den Hund in dem Fall ein wichtiges Gut dar. Die Hunde wachsen ganz eng mit den Tieren auf (sonst klappt das nämlich mit dem Schützen nicht) und es entstehen Beziehungen.
Natürlich sind dem Hund diese Tiere dann wichtig und er verteidigt sie gegen potentielle Feinde (Mensch, Wolf, andere Räuber, je nachdem).

Kurz gesagt, es handelt sich um Ressourcenverteidigung.

Das hat allerdings einen kleinen Haken.

Hunde, die dazu neigen Ressourcen zu verteidigen, sind oft sehr kreativ bei der Auswahl einer solchen.
Hat also ein HSH keine Herde, ist das Verteidigen vielleicht trotzdem ein Thema… dann halt bei Futter, Näpfen, Spielsachen, Liegeplätzen, Grundstück, Wasser, Bezugspersonen, usw.

Wer sich also wundert, warum ein Herdenschutzhund zuhause Dinge verteidigt, findet hier eine Erklärung.

Dasselbe gilt übrigens auch bei sogenannten „Wachhunden“, also denjenigen, die zur Bewachung von Grundstücken ausgesucht wurden.
Dazu zählen wieder einige Molosser (Cane Corso, Rottweiler bedingt,…).

Doch heißt das jetzt, jeder HSH frisst Besuch, braucht Hochsicherheitsverwahrung beim Essen und lässt den Partner der Bezugsperson allein nicht mehr aus dem Wohnzimmer?

Nö.

Jeder Hund ist individuell und auch jeder HSH und jeder Molosser.

Zudem hat das Bedürfnis Ressourcen zu verteidigen auch immer eine Unsicherheits-Komponente…
Denn wenn ich mir meiner wichtigen Dinge in Gegenwart anderer (Menschen, Hunde, andere Tiere) 100% sicher bin, brauche ich sie auch nicht verteidigen 😉
Und… Ressourcen zu verteidigen ist auch ein normales Verhalten. Ich lasse mir meinen Teller unterm Essen auch nicht wegnehmen 😉


Ob und wie stark Ressourcen verteidigt werden unterscheidet sich dann auch wieder je nachdem wie die Hunde sozialisiert wurden… also welche Lebewesen sie als ungefährlich oder sogar toll kennengelernt haben.

Was wir nämlich auch nicht außer Acht lassen sollten ist, dass viele HSH sehr sensible Geschöpfe sind.

Einen Hof zum Bewachen brauchen sie übrigens auch nicht immer.

Denn nur weil sie etwas können, müssen es noch lange nicht alle ausleben…
Wir Menschen können theoretisch auch gut klettern.
Ich hab noch keinen Menschen getroffen, der depressiv wurde, weil er keine Klettergelegenheit hatte 😉

Der Molosser

Die Molosser sind extrem zusammengewürfelt als Gruppe.

Gehen wir zB von der FCI (Internationaler Zuchtverband) aus, finden sich hier Bulldoggen, Rottweiler, Mastiffs, Cane Corsos uvm.
Allerdings keine bulligen Terrier (Staffordshire Terrier, American Staffordshire Terrier usw).
Fragt man aber ein bisschen herum, so werden verschiedenste Hunde zu den molossoiden Rassen gezählt… eigentlich alle, die besonders stark sind oder aussehen.

Genauso bunt sind auch die ursprünglichen Verwendungszwecke der Molosser.
Manche Bulldoggen wurden zB beim Umgang mit Bullen genutzt, denn sie waren kräftig, hatten eine hohe Schmerztoleranz und waren enorm engagiert bei ihrer Aufgabe.
Der Rottweiler wurde ursprünglich zB als Treibhund genutzt (vergleichbar einem Australien Shepherd) und später zum Bewachen von Grundstücken.
Mastiffs sollten im Gefecht helfen und zB berittene Gegner vom Pferd werfen.
Dogo Argentinos wurden bei der Jagd eingesetzt.
Cane Corsos sollten eigenständig Grundstücke bewachen.

Wir haben hier also alles dabei.

Leider natürlich auch diejenigen, die für Hundekämpfe missbraucht wurden.

Und manche sind nicht in der FCI-Gruppe, jedoch durchaus molossoid, wie zB die Französische Bulldogge, der Mops oder die bulligen Terrier.

Sie alle haben zwar sehr unterschiedliche Ursprünge, aber eines gemeinsam… sie sind kräftig.

Das hat den bekannteren Vertretern, gemeinsam mit den bulligen Terriern einen Platz auf den diversen unsinnigen Rasselisten eingeräumt (nicht etwa die Häufigkeit von Beißvorfällen).

Wollen wir jetzt besondere Eigenschaften (= Rassedispositionen) herausfinden müssen wir uns bei so einer Vielfalt noch mehr mit der jeweiligen Rasse beschäftigen, als bei den Herdenschutzhunden.

So würde sich ein Halter eines Rottis vielleicht weniger wundern, dass der durchaus sein Maul einsetzt (Vermächtnis des Treibhundes), vor allem beim Spielen.
Wogegen das die Mastiff-Halter eher überraschen könnte.

Aber natürlich gilt auch hier: jeder Hund ist anders und sollte ein Recht auf individuelle Betrachtung haben.

Doch was ist jetzt mit dem Training?

Die sind doch alle stur und erziehungsresistent, oder?

Nö, absolut gar nicht.

Natürlich spielt auch hier wieder das Gemüt des einzelnen Hundes eine riesige Rolle. Was er in seinem bisherigen Leben kennenlernen und erfahren durfte, wie er körperlich beinander ist, wie mit ihm Umgegangen wird, wie die Eltern waren und welcher Rasse er angehört.

Genetik und Epigenetik (Vererbung und Erfahrung) lässt sich nun mal nicht trennen.

Dennoch können wir eine Tendenz zum Grübeln in diesen beiden Gruppen feststellen.

Während andere Rassevertreter also sofort „jawohl, Sir!“ auf eine Bitte des Menschen antworten, wird ein Molosser oder HSH vielleicht eher sagen „macht das Sinn? Hast du dir das auch gut überlegt? Bringt mir das was?“.

Sie sind also eher die Denker und Beobachter der Hundewelt.

Klar, jedes Lebewesen „funktioniert“ über verschiedene Motivationen, tut also nur, was ihm sinnvoll erscheint.
Aber es gibt schon Hunde, die vor einer Aktion nochmal lieber genau nachgrübeln.

Das macht sie allerdings in meinen Augen auch so wundervoll.
Denn es gibt auch uns eine Möglichkeit mal Inne zu halten und ein wenig vom Gas zu gehen.

Und nicht nur das, viele von den Bulligen sind totale Clowns. Durch ihre geringe körperliche Empfindlichkeit für viele Späße zu haben und durchaus agil.

Ein Training mit Leckerli ist, um auf den Beginn zurück zu kommen, für die meisten durchaus lohnenswert (aus Hundesicht) und somit kein Problem.
Manchmal dürfen wir aber eben auch ein wenig kreativ sein, wenn alles drum herum mega spannend ist.

Und bei einem zu hohen Stresspegel ist auch ein Molosser oder HSH oft nicht wirklich für Futter zu haben.

Druck dagegen hat im Training auch hier keinen Platz.
Die meisten HSH reagieren darauf durch ihre Sensibilität sehr schnell und intensiv mit Gegendruck.
Und der Molosser „macht zu“… also verweigert die Kooperation. Ob man dann als Mensch wirklich Lust auf einen körperlichen „Kampf“ hat bleibt zu bezweifeln.

Macht ja auch keinen Spaß 😉

Alles in allem würde ich sagen, es ranken sich enorm viele Mythen um diese beiden Gruppen.

Die meisten davon sind schlicht weg Quatsch.

Denn egal ob du einen HSH, Terrier, Hütehund oder Molosser durchs Leben begleitest, das wichtigste für ein harmonisches Miteinander ist Verständnis und Spaß.

 

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