(Vor)Stadtleben mit Problemhund
In letzter Zeit erinnere ich mich wieder öfter an die Zeit in Wien zurück… also Sammy’s Anfänge bei mir. Wir haben in einem Randbezirk gewohnt. Überall ist viel grün, man ist schnell auf Feld- und Wiesenwegen und es fahren nicht so viele Autos. Die Luft ist besser und man fühlt sich ein bisschen freier als in der Innenstadt.
Das klingt ja eigentlich super schön.
Vermutlich ist das auch der Grund für die enorme Population an Hunden in diesen Bezirken bzw auch den Gemeinden in Stadtnähe.
Wenn man also hier spazieren geht, ist die Wahrscheinlichkeit also fast 100%, einen anderen Hund zu treffen.
Für „normale“ Hunde (also die, die sich gut mit Artgenossen verstehen und das auch nicht super aufregend finden) ist das kein Problem, ja manchmal sogar eine willkommene Abwechslung beim Spaziergang. Man kann vielleicht sogar mit anderen Hundehaltern ins Gespräch kommen, sich zu Gassitreffen verabreden und gemeinsam die schönen Spazierstrecken genießen.
Das hatte ich im Kopf bei der Idee, einen Hund zu mir zu nehmen. Ich hab mich richtig darauf gefreut.
Dann kam Sammy.
Nach ein paar doofen Erlebnissen in den ersten 2 Wochen hatte er die Schnauze voll von Artgenossen. Dabei ist er noch nicht mal verletzt worden (wofür ich wahnsinnig dankbar bin) aber die unangeleinten Tut-Nixe haben ihn bedrängt, gejagt, in die Enge gedrückt. Für einen sensiblen Hund wie ihn war das einfach zu viel.
Das war übrigens auch das erste Mal, wo mir „Tut-Nixe“ bewusst untergekommen sind. In den Momenten, wo sie, nichts tuend, meinen Hund in Panik versetzt haben.
Innerhalb kürzester Zeit hat Sammy also gelernt andere Hunde früh und lautstark davon zu überzeugen, dass er super gefährlich ist und sie bloß wegbleiben sollen.
Wir hatten also zusätzlich zur Angst eine waschechte Leinenaggression.
Für einen Ersthundehalter ist das der Supergau. Verzweiflung und Hilflosigkeit machen Spaziergänge unerträglich und ohne Hilfe weiß ich nicht, wie wir weiter damit umgegangen wären.
Was mir nämlich in meiner romantischen Vorstellung nicht in den Sinn gekommen ist war, dass nicht alle Menschen rücksichtsvoll miteinander umgehen oder sich an Regeln oder sogar Gesetze halten.
In dieser Stadt herrscht nämlich Leinen- oder Maulkorbpflicht (über die Sinnlosigkeit von Maulkorb allein bei einem Hund der Artgenossen auf den Boden wirft oder jagt wollen wir an dieser Stelle hinwegsehen). Daran gehalten haben sich etwa 10% der Menschen, die wir getroffen haben. Und bei etwa der Hälfte der Hunde war das vertretbar (sie haben niemanden belästigt, waren abrufbar und freundlich), der Rest war „Tut-Nix“.
Und es kam noch schlimmer.
Eben die Menschen, deren Hunde Sammy in irgendeiner Weise geschadet haben, haben mich beschimpft, ausgelacht, mir sogar aufgelauert um das besser tun zu können.
Mein Hund sei nicht erzogen.
Ich sei eine Tierquälerin weil er nicht zu Artgenossen darf (mir über meinen brüllenden Hund hinweg zugeschrien) und eine 10m Schleppleine am Geschirr hat (von einer Frau deren Hund am Kettenwürger geruckt wurde).
Usw.
Kurz gesagt: ich wollte nicht mehr spazieren gehen.
ABER
Not macht erfindungsreich.
Wir konnten ja nicht spontan auf eine einsame Insel auswandern.
Also haben wir mit unserer Trainerin nicht nur fleißig geübt sondern auch überlegt, wie wir in Frieden leben und gemeinsame Spaziergänge wieder genießen können.
Für Sammy war es wichtig, die Wahl zu haben, ob ein Spaziergang ok ist oder nicht. An manchen Tagen konnte er mit den vielen Reizen der Stadt einfach nicht umgehen und wollte nach seinem Geschäft wieder nach Hause. Das durfte er.
Zudem haben wir die Länge der Spaziergänge drastisch reduziert, was ich heute auch jedem mit frisch adoptiertem Hund raten würde. Die neuen Eindrücke zu verarbeiten ist meist ohnehin genug Auslastung und wer sich Sorgen macht, dass das nicht reicht, kann ja noch Suchaufgaben einbauen.
Auch die haben wir in jeden unserer Spaziergänge integriert und Sammy so zu mehr Selbstbewusstsein verholfen.
Außerdem war es wichtig, seine Leinenaggression nicht ständig zu üben (also ihn nicht dauernd in Situationen zu bringen in denen er bellend, knurrend in die Leine springt).
Also haben wir Strecken und Zeiten gewählt, wo uns kaum Hunde begegnet sind. Trotzdem haben wir Hunde getroffen, doch das waren immer dieselben und somit vorhersehbar.
Und zur Entspannung zwischendurch sind wir in wirklich ruhige Gebiete gefahren um dort die Natur zu genießen.
Der Vorteil an städtischem Umfeld ist, dass man super viele Gegenstände hat, mit denen man den starrenden Sichtkontakt unterbrechen kann (zB Autos).
Auch für seine Angst und fehlendes Selbstbewusstsein haben wir Vorteile gefunden. So ist uns zB auf unserem neuen Spazierweg eine Lebensgroße Plastik-Kuh begegnet. Die stand da pflichtbewusst, den ganzen Tag vor ihrem Restaurant und hat sich nicht bewegt.
Sammy konnte also in seinem Tempo zu dieser Kuh hingehen und sie untersuchen.
Es mag also durchaus anspruchsvoller sein, mit einem Problemhund in der Stadt oder Vorstadt zu wohnen, doch es bietet auch Möglichkeiten.
Klar, ich würde immer davon abraten einen Angsthund in die Stadt zu vermitteln.
Aber für alle anderen bieten sich nicht nur Schwierigkeiten sondern auch extrem viele Möglichkeiten. Welche wir sehen, entscheiden wir und unser Mindset.
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